Saskia Liefhebber, Marienau: Geborgen in der Gemeinschaft
Saskia Liefhebber ist Lehrerin am Internat Marienau, betreut die Kinder aber auch in der Freizeit
Nach Definition und allgemeinem Sprachgebrauch gilt Saskia Liefhebber, 45 Jahre alt, Lehrerin für Mathematik und Sport, als alleinstehend. Nach näherer Betrachtung ganz sicher nicht. Eingebettet in die Gemeinschaft des Kollegiums einerseits, zuständig als Gangmutter für eine kleine Gruppe junger Mädchen andererseits, lebt sie mit Familien und Jugendlichen in einem großen Verbund. Der Nachteil ist: Die Protagonisten wechseln. Der Vorteil ist: Man kann auch mal die Tür zumachen. Die Medaille hat wie immer zwei Seiten.
Seit mittlerweile zehn Jahren ist die gebürtige Henneferin Teil des Internatsgymnasiums Marienau, seit mittlerweile zehn Jahren arbeitet und wohnt sie auf dem idyllischen Gelände am Rande der Göhrde. „Dabei war diese Kombination damals gar nicht der Anlass, mich auf einen Posten hier zu bewerben“, sagt sie schmunzelnd. Weil ihre Anstellungen im öffentlichen Dienst aber immer nur befristet waren, grundsätzlich keine neuen Pädagogen einen festen Job bekamen, orientierte sie sich um – und wurde fündig. „Gefallen hat es mir hier von Anfang an“, sagt sie. Und das hing auch ganz eng mit den Menschen zusammen.
Von denen wird in der Regel erwartet, dass sie im Internat nicht nur lehren, sondern auch leben. Aus gutem Grund, wie Rana Raslan, Leiterin des Internationalen Teams an der Schule, erklärt: „Wir benötigen natürlich für den Nachwuchs in den Häusern Erwachsene, also quasi Familienoberhaupte, die sich um die Kinder kümmern, aufpassen, für sie da sind.“ In berechtigten Ausnah-mefällen könnten die Pädagogen natürlich auch außerhalb wohnen, „aber letztlich ist das hier ja eigentlich ideal“, sagt sie, „es ist ein Rundum- Sorglos-Paket“. Und das genießt auch Saskia Liefhebber. Wohnung, Verpflegung, auch Möbel, wer mag – und natürlich jede Menge helfende Hände und offene Ohren: All das hat sie bei ihrem Einzug vorgefunden. „Zu meinen beiden Nachbarn Astrid Günther und Tobias Karrasch, die mit ihrem damals kleinen Sohn Noah über mir gewohnt haben, hatte ich sofort einen guten Draht“, erzählt sie – so gut, dass der Kontakt über die Jahre stets weiter gewachsen ist: „Ich habe mich ab und an um den Kleinen gekümmert, bin mit der Familie auch schon in den Urlaub gefahren und treffe mich mit Astrid an meinen freien Abenden noch immer auf ein Glas Wein.“ So wie auch mit anderen Marienauern.
Neben den Kollegen sind es aber gleichermaßen die vielen Kinder und Jugendlichen, die für die 45-Jährige ein Stück weit Familienersatz sind: „Für die Mädchen auf meinem Gang bin ich so etwas wie eine Mutter vor Ort“, sagt sie lachend, „sorge dafür, dass sie morgens aufstehen und abends ins Bett finden, kümmere mich um sie, wenn sie krank sind, höre ihnen zu, wenn sie mit Problemen kämpfen, und tröste sie, wenn sie Heimweh haben.“ Manche bräuchten sie weniger, andere mehr – und zu manchen entwickle sich ein ganz besonderer Bezug, der anhielte, obwohl die jungen Menschen schon längst das Internat verlassen hätten. Da fließen beim Abschied auch mal die Tränen.
„Das ist eben etwas ganz anderes als auf den staatlichen Schulen“, sagt Saskia Liefhebber, „ich begleite die Kinder ja ein Stück weit auf ihrem Lebensweg. Ich lerne sie ja auf einer ganz anderen Ebene kennen, weiß viel aus ihrem privaten Umfeld, begegne ihnen ja nicht nur für eine kurze Zeit im Unterricht.“ Das verbindet, kann aber auch zu Spannungsfeldern führen. „Letztlich kann ich zwischen meiner Funktion als Lehrerin und der als Gangmutter aber gut differenzieren“, erklärt sie, „wenn eines meiner Mädchen im Unterricht vor mir sitzt, ist sie eine von 15 Schülerinnen und Schülern. Und eben nicht mehr.“
Bereits beim Mittagessen kann sich das wieder ändern. Rana Raslan sagt: „Da sind wir als Pädagogen natürlich auch gefragt, kümmern uns um Tischmanieren, führen Tischgespräche.“ Zu Beginn eines jeden Schuljahres gebe es zudem noch eine besondere Aktion: „Da laden unsere ausländischen Kinder aus Mexiko und auch aus China zum Essen ein, präsentieren allen anderen ihre Tradition.“ Das fördere die schnelle Integration, „denn auch sie gehören für eine Zeit zu unserer Familie“.
Eine Familie, die hat Saskia Liefhebber natürlich auch, ab und zu kommt die vorbei. „Meine Eltern leben in Nordrhein- Westfalen, besuchen mich manchmal mit ihrem Wohnmobil“, sagt sie, „ansonsten ist meine Familie hier.“ Und auf die kann sie sich verlassen: „Wenn ich Probleme habe, finde ich immer jemanden, der mir sein Ohr schenkt, der sich um mich kümmert, mich unterstützt.“ Gute Freundinnen hat sie in Marienau gefunden und jede Menge Geborgenheit. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt die 45-Jährige, „und solange meine engen Kontakte hier sind, bleibe ich auch.“
Was die Zukunft bringt, könne sie nicht sagen, eine Rückkehr in den staatlichen Dienst schließt sie aber aus: „Nach all den schönen Erfahrungen hier wäre das nichts mehr für mich.“ Ihre Ersatzfamilie bedeute ihr viel, sagt sie, „auch wenn es manchmal schön wäre, würde jemand auf mich warten“. So aber habe sie letztlich mehr Zeit für sich, Zeit, die sie in der Natur verbringt, in der sie nach Hamburg zum Tanzen fährt oder mit der Kollegin Tennis spielt. Deshalb fehlt es ihr an nichts. Oder doch? „Den Karneval vermisse ich“, meint sie lachend.