Interview mit Thomas Huhmann von der Schule Marienau
"Ich wollte nicht nur Lehrer sein: Unterrichten, Vorbereiten, Korrigieren, das allein reichte mir als Pädagoge nicht."
An welchem Internat arbeiten Sie – und wie lange?
Ich bin an der Schule Marienau seit mehr als 20 Jahren tätig.
Was haben Sie vor Ihrer Tätigkeit im Internat getan?
Nach meinem 2. Staatsexamen habe ich sieben Jahre als Fachlehrer in der Oberstufe einer Waldorfschule die Fächer Deutsch und Politik unterrichtet. Dann bin ich mit meiner Familie nach Marienau gezogen.
Warum haben Sie sich für diese Aufgabe entschieden?
Wir haben uns aus mehreren Gründen für ein Internat und Marienau im Besonderen entschieden. Zum einen wollte ich nicht nur Lehrer sein. Unterrichten, Vorbereiten, Korrigieren, das allein reichte mir als Pädagoge nicht. Ich war immer offen für alternative pädagogische Ansätze, das zeigt ja auch meine vorangegangene Station an einer Waldorfschule. Und dieses Plus, nämlich die Schüler als Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten, das bietet ein Internat. Zum anderen haben meine Familie und ich gehofft, dass wir hier Familie und Beruf bestmöglich miteinander verbinden können.
Welche Erwartungen an die Tätigkeit wurden erfüllt?
Viele meiner Erwartungen wurden erfüllt, sonst wäre ich ja nicht so lange hier. Beruf und Leben lassen sich hier wunderbar miteinander verbinden. Marienau bietet mir ein berufliches wie privates Zuhause. Es ist ein schöner, anregender Ort zum Leben, nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie.
Marienau stellt den Internatslehrern ganz unterschiedliche Wohnungen zur Verfügung, in denen man sich wohlfühlen kann. Zurzeit bewohnen meine Frau und ich ein Haus mit Garten. Ich finde im Internat jederzeit die Gesellschaft anderer Menschen, kann mich aber auch zurückziehen, wenn mir danach zumute ist. Dazu bietet Marienau als Arbeitgeber ein hohes Maß an Flexibilität, um z. B. die Bedürfnisse einer Familie zu berücksichtigen.
Die Möglichkeiten der Mitgestaltung in Schule und Internat sind groß, Engagement ist ausdrücklich erwünscht. Nur selten begegnet mir hier die traditionelle Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Mentalität. Natürlich führt die Schulleitung, aber Marienau ist eine Schule der offenen Türen, vieles lässt sich auf dem kurzen Weg besprechen und organisieren. Das macht das Arbeiten erfüllter.
Was sind für Sie besondere Herausforderungen Ihrer Tätigkeit?
Das, was den Reiz ausmacht, wenn sich Arbeit und Leben mischen, ist natürlich auch eine Herausforderung. Denn ich bin hier als Lehrer, Wohnbereichsleiter, Kollege, Tutor, Familienvater, Ehemann etc. unterwegs – nicht immer gelingt es, die unterschiedlichen Rollen miteinander in Einklang zu bringen. Dann entsteht Reibung und man muss sortieren und kommunizieren. Wenn das gelingt, lässt es sich hier gut leben.
Auch die heterogen zusammengesetzte Schülerschaft erlebe ich als Herausforderung. Einige unserer internationalen Schüler wagen in jungen Jahren den akademischen Weg ins Ausland. Dem möchte ich professionell begegnen, aber manchmal klappt das gegenseitige Verständnis nicht auf Anhieb. Auch unsere deutschen Schüler kommen aus unterschiedlichsten schulischen und privaten Situationen zu uns. Mitunter ist es eine anspruchsvolle pädagogische Aufgabe, sie schulisch und sozial zu einer Lerngruppe zu formen.
Ich unterrichte neben Oberstufenkursen regelmäßig Klassen der Mittelstufe in der spannenden Phase der Pubertät. Die Erfahrung als Vater von zwei Söhnen hilft mir, meine Schülerinnen und Schüler bei ihrer manchmal mühsamen Suche nach dem eigenen Weg zu begleiten.
Welche drei Vorteile sehen Sie in Ihrer Tätigkeit im Internat gegenüber der Tätigkeit an einer normalen Schule?
Vorteilhaft ist an erster Stelle, dass ich nicht nur ‚Stoffvermittler‘ bin. Ich erlebe viel mit meinen Kolleginnen und Kollegen, ebenso wie mit den Schülerinnen und Schülern. Meine Rolle hier gestattet es mir, in einem ziemlich ganzheitlichen Sinn als erwachsener Mensch mit anderen Menschen zu arbeiten.
Die kleinen Klassen erlauben ein angenehmes Unterrichten, man kann eine persönliche Bindung zu den Schülerinnen und Schülern aufbauen. Das hilft beim Lehren und Lernen. Und das Miteinander in unserer kleinen Schulgemeinschaft ist ein entscheidender Unterschied zu großen, unpersönlichen Lehranstalten.
Und natürlich die kurzen Wege. Dies meine ich wörtlich und in übertragenem Sinne. Die informelle, rasche Absprache mit Kollegen, Hauseltern und Leitung ermöglicht eine bestmögliche Betreuung für unsere Schüler. Und wörtlich genommen kann ich die Zeit und Energie, die ich durch die kurzen Arbeitswege einspare, für anderes sinnvoll nutzen.
Wer sollte sich auf diese Aufgabe auf gar keinen Fall bewerben?
Jemand, der einen 9-to-5-Job erwartet, wird hier sicherlich enttäuscht werden. Ein Internat lebt davon, dass die Mitarbeiter – wie auch die Schüler – sich im positiven Sinne vereinnahmen lassen.
Betreuen Sie nur Schüler eines Geschlechts und einer Altersgruppe oder eine gemischte Gruppe?
Im Unterricht bin ich meistens in den Klasse 8, 9 und 10 eingesetzt, oft auch als Klassenlehrer. Im Wohnbereich betreue ich Schülerinnen und Schüler der Oberstufe. Es ist ein gemischter Wohnbereich mit Jungen und Mädchen. In der Oberstufe haben die Schüler in Marienau Einzelzimmer, in der Unter- und Mittelstufe wohnen sie in Doppelzimmern. Früher habe ich einen reinen Jungenwohnbereich betreut.
Hier sind individuelle Schwerpunktsetzungen möglich, auch in Anhängigkeit von der eigenen Lebenssituation. Meine beiden Söhne sind ja auch hier in Marienau aufgewachsen und zur Schule gegangen, da war es für uns als Familie hilfreich, zu gegebener Zeit von einem lebendigen Mittel- in ein ruhigeres Oberstufenhaus zu wechseln.
Erhalten Sie für Ihre Tätigkeit im Internat eine Entlastung im Unterricht?
Selbstverständlich. Als interner Kollege besteht meine volle Stelle nicht nur aus Unterricht. Mein Deputat setzt sich aus Betreuungsaufgaben im Internat und schulischen Aufgaben zusammen. Hier gibt es die Möglichkeit der Mitgestaltung nach persönlichen Bedürfnissen.
Wie sieht eine durchschnittliche Woche, ein Arbeitstag bei Ihnen aus?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen, weil je nach Phase im Schuljahr andere Dinge anstehen. Vielleicht benenne ich einfach mal die Bestandteile meines Jobs:
Vorweg sei gesagt, dass ich einen freien Tag in der Woche habe, an dem ich nicht unterrichte und auch in meinem Wohnbereich vertreten werde. Dieser freie Tag ist Ausgleich für die 14tägig stattfindenden Schulwochenenden.
Meine Tätigkeit in Marienau setzt sich zusammen aus klassischem Unterricht, seiner Vor- bzw. Nachbereitung. Es gibt dienstliche Treffen oder Besprechungen und dienstags haben wir unseren Konferenztag mit Teil- oder Gesamtkonferenzen.
An einigen Tagen esse ich mit den Schülern gemeinsam, zudem betreue ich Lernzeiten, gebe einen Förderkurs oder führe Gespräche mit meinen Tutanden. Telefonate oder persönliche Gespräche mit Eltern sind manchmal notwendig, wobei die Häufigkeit des Elternkontakts in der Unter- und Mittelstufe deutlich höher ist als bei Schülern der Oberstufe. Als Betreuer eines Wohnbereichs der Oberstufe bin ich nachmittags nicht stark involviert, da die Schüler Unterricht oder AGs haben. Ich bin aber am Abend präsent. Wenn die Schüler ins Haus müssen, sprechen wir kurz noch über den Tag oder darüber, was sie beschäftigt. Diese Zeit des gemeinsamen Austauschs ist wichtig für den Beziehungsaufbau.
Und zwischen alledem kann ich zuhause Pause machen, mit meiner Frau Kaffee trinken oder im Garten arbeiten, mich ohne dienstlichen Anlass mit Kollegen treffen oder meinem Sport nachgehen. Es gibt keine starre zeitliche Aufteilung, sondern mein Tag bzw. meine Woche fügt sich aus all dem zusammen. Ich baue ihn mir modular auf, so dass sich Arbeitsphasen und freie Zeiten abwechseln.
Wie beurteilen Sie Ihre Arbeitsbelastung?
Ich fühle mich durch meine Arbeit nicht stark belastet, denn ich gestalte sie aktiv mit. Für mich ist es so ideal, mein Leben und mein Arbeitsleben sind in Balance. Das ist natürlich rein subjektiv, aber ich erlebe diese Kombination seit vielen Jahren als befriedigend. Wichtig ist, die Sorge für sich selbst ernst zu nehmen und sich private Räume zu schaffen. Räume, um mit der Familie gemeinsam zu essen, seinen Sport in den Tag zu integrieren, sich mit den Kollegen nicht nur als Fachkollegen, sondern auch als Freunde oder Nachbarn zu treffen.
Wie oft dürfen Sie das Internat während der Schulzeit verlassen?
Das Internat hat keinen Zaun und ich kann das schöne Schulgelände verlassen, wann immer ich keine arbeitsmäßigen Verpflichtungen habe. Habe ich also am Vormittag keinen Unterricht und meine Schüler sind in der Klasse, kann ich laufen gehen, einkaufen etc.
Als ich einen Wohnbereich der Mittelstufe betreut habe, war ich deutlich mehr und zu anderen Zeiten eingebunden. Da habe ich fest viermal in der Woche die Hausaufgabenzeit am Nachmittag betreut. Jetzt geht es eher darum, am Abend präsent zu sein. An meinem freien Tag vertritt mich ein Kollege, so dass ich über meine Zeit verfügen kann. Insgesamt ist wichtig, dass man verlässliche Absprachen trifft, damit Schüler, Kollegen oder Eltern wissen, wie sie mich im Notfall erreichen können.
Was sollte jeder Bewerber wissen? Welche Eigenschaften finden Sie besonders wichtig, wenn sich jemand für eine solche Aufgabe interessiert?
Jeder, der sich für diesen Arbeitsplatz und Wohnort interessiert, sollte offen und kommunikativ sein. Das ist keine Floskel: Sprich mit allen, nimm dir Zeit und lass dich auf das Leben im Internat ein. Das Internat ist ein Ort für die, die mehr als ein Fachlehrer sein möchten.
Für diesen Job braucht es Freude an der Begegnung und Neugier auf den Austausch mit anderen Menschen. Wer gute kommunikative Fähigkeiten hat, wird sich leicht einfinden können. Konfliktfähigkeit ist ein weiteres Plus, denn natürlich entsteht dort, wo Menschen viel Zeit miteinander verbringen, auch Reibung. Wichtig ist auch Empathie, denn ohne das Einfühlen in das Gegenüber gelingt das Miteinander in einer so heterogenen Gemeinschaft nicht.
Was ist ihr Tipp für Bewerber, Neueinsteiger in diesem Beruf?
Niemand ist perfekt. Gerade im ersten Jahr sind die Aufgaben unvertraut, da kann man sich schon mal überfordert fühlen. Hier hilft es, sich mit den Kollegen auszutauschen und um Rat zu fragen. Man sollte auch bereit sein, Hilfe anzunehmen.
Es geht darum, sich auf das komplexe System Internat einzulassen, hier zu wachsen und sich weiter zu entwickeln.